Mehr Flexibilität, grössere Auswahl uvm. – der internationale Handel bringt viele Vorteile mit sich. Doch für all diese Vorteile birgt das System auch seine Tücken. Will man die Vorzüge von importierten Dienstleistungen geniessen, bedeutet dies leider auch, dass man auf die bürokratischen Gegebenheiten in anderen Ländern Rücksicht nehmen muss. Damit der Aufwand hierbei nicht den Nutzen übersteigt und um die eigene Wirtschaft zu schützen, wurde das Reverse Charge Verfahren beziehungsweise die Bezugsteuer ins Leben gerufen.
Definition Reverse Charge Verfahren
Beim Reverse Charge Verfahren wird die Umsatzsteuerschuldnerschaft bei grenzüberschreitenden Lieferungen umgedreht. Im Klartext bedeutet dies, dass Dienstleistungen dort versteuert werden, wo der Hauptsitz des Leistungsempfängers liegt. Das Umsatzsteuerrecht sieht vor, dass Leistungserbringer die Umsatzsteuer in Rechnungen ausweisen und diese an das Finanzamt abführen. Findet das Reverse Charge Verfahren Anwendung, ändert sich dies.
Dabei stellen Leistungserbringer eine Nettorechnung aus, der Leistungsempfänger berechnet die Umsatzsteuer und führt diese im Anschluss ans Finanzamt ab. Das Reverse Charge wird daher auch als Umkehr der Steuerschuldnerschaft bezeichnet.
Entstehung des Reverse Charge Verfahrens resp. der Bezugsteuer
Bevor das Reverse Charge Verfahren, so wie es heute existiert, geschaffen wurde, gab es bereits eine Richtlinie, die die Harmonisierung der Rechtsvorschriften zur Umsatzsteuer zum Ziel hatte. So sollte das Mehrwertsteuersystem der EU-Mitgliedsstaaten angepasst werden. Seither wurde diese Richtlinie mehrmals überarbeitet und aktualisiert. Aus dieser ersten Richtlinie hat sich das Reverse Charge Verfahren entwickelt.
Heute verfügen nicht nur EU-Staaten über eine Umsatzsteuerregelung, sondern auch Drittländer wie zum Beispiel die Schweiz. In der Schweiz gibt es hierzu die Bezugsteuer. Die Bezugsteuer ist die Mehrwertsteuer, die auf Dienstleistungsimporte erhoben wird und im MWST-Gesetz (MWSTG) geregelt ist.
Der reguläre Steuersatz liegt bei 7,7 %. Wichtig hierbei: die Bezugsteuer befasst sich mit Dienstleistungen. Geht es um den Import von Produkten, ist von der Einfuhrsteuer die Rede.
Bezugsteuer: Voraussetzungen
Generell funktioniert die Bezugsteuer ähnlich wie das Reverse Charge Verfahren, das in Deutschland beziehungsweise der EU Anwendung findet. Die Unterschiede der Richtlinien liegen hierzulande vor allem in der Definition des Leistungsfelds. Dabei ist strenger geregelt, auf welche Leistungen ein ausländisches Unternehmen in der Schweiz die Bezugsteuer anwenden kann.
Ob ein Leistungsempfänger Bezugsteuer bezahlt, ist in der Regel von zwei Aspekten abhängig:
- Ort der Dienstleistung – Laut Artikel 45 im MWSTG unterliegen nur Dienstleistungen der Bezugsteuer, die nach dem Empfängerortprinzip von Unternehmen mit Sitz im Ausland für Kunden in der Schweiz erbracht wurden. Dieses Recht gilt zum Beispiel für Werbeleistungen, den Kauf von Rechten und Lizenzen, Beratungsleistungen und elektronischen Dienstleistungen wie die Erstellung von Websites.
- Steuerpflichtigkeit des Leistungserbringers – Es wird vorausgesetzt, dass Dienstleistungen von einem ausländischen, nicht steuerpflichtigen Unternehmen an einen Mehrwertsteuerpflichtigen Kunden erbracht werden. Dies trifft bei B2B Geschäften zu. Ist der Leistungsempfänger – unabhängig davon, ob natürliche oder juristische Person – nicht als steuerpflichtige Person im Register eingetragen, zahlt er nur dann Bezugsteuern, wenn er jährliche Dienstleistungen im Wert von mehr als 10.000 CHF bezieht. Dies kann sowohl B2B als auch B2C Geschäfte betreffen. Dabei gibt es keine Wertfreigrenze von 10.000 CHF – die Bezugsteuer wird auf sämtliche Dienstleistungsimporte geschuldet, sobald diese Marke überschritten wird.
Sonderregelungen für die Schweizer Bezugsteuer
Wie bereits erwähnt, wird das Leistungsfeld in der Schweiz strenger definiert als innerhalb der EU. Ein Beispiel hierfür sind Reparaturen und Montagen. Diese zählen in Österreich und in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz zum Leistungsfeld. Die Schweizer Finanzbehörde verbietet hierfür die Anwendung des Reverse Charge Verfahrens.
Neben Feldern, die generell vom Reverse Charge Verfahren ausgenommen sind, gibt es in der Schweiz auch Sonderregelungen. Diese beschränken den Einsatz des Verfahrens zusätzlich. So dürfen seit dem 01.01.2018 Unternehmen mit dem umsatzsteuerlichen Lieferort der Schweiz weltweit nicht mehr als 100.000 CHF an steuerbaren Umsätzen erwirtschaften. Überschreiten Sie diese Grenze, darf das Reverse Charge Verfahren nicht angewendet werden und das ausländische Unternehmen muss sich beim Schweizer Fiskus beziehungsweise im Schweizer MWST-Register registrieren, um dort Umsatzsteuer zu bezahlen. Rechnungen werden dann mit der „normalen“ Mehrwertsteuer ausgestellt.
Ausgenommen hiervon sind lediglich:
- Unternehmen, die von der Mehrwertsteuer befreite Leistungen erbringen.
- Unternehmen, die Energielieferungen an beim Fiskalamt registrierte und im Mehrwertsteuerregister eingetragene Personen oder Unternehmen erbringen.
Ziel des Reverse Charge Verfahrens beziehungsweise der Bezugsteuer
Sowohl das Reverse Charge Verfahren als auch die Bezugsteuer dienen der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Das Reverse Charge Verfahren wurde vorrangig dazu geschaffen, um ein einheitliches System zu etablieren, was die Mehrwertsteuer bei Importen und Exporten betrifft. Zudem sollte es den bürokratischen Aufwand sowohl aufseiten der Unternehmen als auch Behörden senken. Ausserdem soll das Reverse Charge Verfahren dem Steuerbetrug vorbeugen. Dabei kann mit dem Verfahren vermieden werden, dass ausländische Leistungserbringer Umsatzsteuer in Rechnung stellen und untertauchen, bevor sie diese ans Finanzamt geleistet haben.
Dem Reverse Charge Verfahren ähnlich, ist es der Zweck der Bezugsteuer. Diese Steuer soll für faire Verhältnisse auf dem Schweizer Markt sorgen. Im Zuge des Reverse Charge Verfahrens würden ausländische Anbieter, die nicht der Schweizer Mehrwertsteuer unterstellt sind, Schweizer Kunden Nettorechnungen (ohne MWST) ausstellen. Dienstleistungen wären somit ohne den Ausgleich durch die Bezugsteuer erheblich billiger als jene inländischer Leistungserbringer. Das Ziel der Bezugsteuer ist es, Dienstleistungen aus dem Ausland in Sachen Mehrwertsteuer beziehungsweise im Gesamtpreis auf eine Ebene mit den Schweizer Konkurrenzprodukten zu bringen.
Fazit
Obgleich das Schweizer Umsatzsteuergesetz, dem der EU ähnelt, ist es nicht mit diesem gleichzusetzen. Unterschiede im Mehrwertsteuersystem sorgen dabei in der Praxis immer wieder für Herausforderungen. Die Regelungen sind mit den Neuerungen von 2018 zwar übersichtlicher geworden, zahlreiche Sonderregelungen sorgen allerdings immer noch dafür, dass bei der Bezugsteuer beziehungsweise beim Reverse Charge Verfahren schnell Fehler passieren. Zuverlässige Steuerberater können hier den Unterschied machen und für mehr Sicherheit bei Auslandsgeschäften sorgen.